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Abschiedsrituale schaffen Raum zum Leben

Im Zentrum der Frida-Kahlo-Schule in Sankt Augustin, dort wo sich die zwei Hauptflure der Förderschule kreuzen, versammelten sich gestern viele Menschen um ein dreidimensionales, buntes Mosaik. Es zeigt ein Segelschiff, das aus einem Bachlauf heraus in den Himmel segelt. Unter Anleitung der Künstlerin Verena Schöne hatten Kinder, Lehrerinnen und Lehrer sowie Eltern zuvor tausende von farbigen Mosaiksteinen zusammengefügt und einen Gedenkort für verstorbene Schülerinnen und Schüler geschaffen, den sie nun zusammen mit Gästen feierlich einweihten. Superintendent Hans Joachim Corts, Monsignore Josef Schlemmer und Karaca Satilmis, Imam der Siegburger Moschee, hielten gemeinsam eine Andacht.

Im Schulalltag der Frida-Kahlo-Schule, in der Kinder mit körperlichen und schweren mehrfachen Behinderungen lernen, ist der Tod einer Schülerin oder eines Schülers nicht selten. „In den letzten zehn Jahren sind 21 Kinder gestorben“, sagte Direktorin Marlies Schelenz. Deshalb ergriff sie zusammen mit Pfarrer Paul Zenner von der Pfarrstelle für Behindertenarbeit des Evangelischen Kirchenkreises An Sieg und Rhein schon vor knapp drei Jahren die Initiative zur Entwicklung eines Trauerrituals. Schelenz: „Wir haben gelernt, die Energie der Trauer aufzunehmen und ihr aktiv, einen neuen Ausdruck zu verleihen. Dabei sind die Kinder unsere Wegweiser. Wenn wir ihnen zuhören, erfahren wir von ihnen die größten Wahrheiten.“ Diese Einsicht verdeutlichten Schülerinnen und Schüler eindrucksvoll mit eigenen Gedanken zu Tod und Trauer während der Einweihungsfeier. „Erinnerung kann wehtun“, sagte eine Fünftklässlerin, „aber ich bestimme selbst, wann ich mich erinnern möchte. Vergessen ist eine Beleidigung. Dann könnte man glauben die Toten waren uns nicht wichtig.“ Und ein Schüler der vierten Klasse bemerkte: „Über den Tod sprechen macht Angst. Trotzdem, darüber reden nimmt die Angst.“

Den Gefühlen Ausdruck geben

Wenn an der Frida-Kahlo-Schule ein Kind gestorben ist, beginnt die Trauerarbeit in der betroffenen Klasse ebenfalls mit einem Gespräch. Pfarrer Zenner, der an der Schule Religion unterrichtet und als Seelsorger arbeitet, hält nach der Überbringung der Todesnachricht gemeinsam mit Kindern und Lehrern aufkommende Gefühle von Wut, Verzweiflung und Sehnsucht aus. Anschließend haben die Schülerinnen und Schüler Gelegenheit, einen Brief an den Verstorbenen zu schreiben oder ein Bild zu malen. Später legen sie diese auf einem mit Kerze, Foto und Kondolenzbuch liebevoll gestalteten Gedenktisch ab.

Pfarrer Zenner erläuterte, dass fast alle trauernden Kinder, Schiffe, Türen, Schmetterlinge oder Bäume malen – als universelle Seelenbilder. Inspiration für den in der Region einzigartigen Gedenkort an der Frida-Kahlo-Schule war ein Kinderbild mit einem Schiff. Paul Zenner: „Das Schiff ist ein Symbol dafür, dass ich nicht untergehe. Es bringt mich vom Diesseits zum Jenseits.“

Ein Ort gegen das Verdrängen und Vergessen

Unter dem Boot sprudelt eine Quelle, aus der Wasser in den Bachlauf fließt. Für jeden Verstorbenen der Schulgemeinschaft wird zukünftig ein Stein mit Namensgravur in das Wasser gelegt. Der Stein bleibt solange dort, bis das Kind aus der Schule entlassen worden wäre. Damit wird das Mosaik zu einem Ort gegen das Verdrängen und Vergessen und entspricht auch dem Wunsch vieler verwaister Eltern, dass ihre Kinder nicht so schnell vergessen werden. Den Schülerinnen und Schülern hilft der Gedenkort ebenfalls, sich immer wieder mit der eigenen Endlichkeit auseinanderzusetzen: „An der Schule gibt es eine große Zahl von Kindern mit fortschreitenden Erkrankungen. Unsere Trauerkultur hilft ihnen, dass sie den Tod nicht verdrängen, sondern in der Auseinandersetzung damit Raum zum Leben gewinnen“, so Zenner.

Quelle: www.ekasur.de